Analyse der Belastungs-Beanspruchungs-Situation
Die Vielzahl der einsetzbaren Methoden zur Analyse der Belastungs-Beanspruchungssituation werden in Abhängigkeit von der Problemstellung und Zielsetzung eingesetzt und angepasst.
Zu den möglichen Methoden gehören:
1. Belastungskataster
Mit einem Belastungskataster lassen sich verschiedene Belastungsfaktoren, wie z.B. Hantieren von Lasten, Körperhaltung und psychomentale Faktoren analysieren. Belastungskataster dienen der Erkennung von Schwachstellen der Arbeitsgestaltung und der Arbeitsorganisation.
2. Dokumentenanalyse: Dienstplananalyse
Die Dienstplananalyse stichprobenmäßig ausgewählter Dienstpläne nach Mybes (1990) soll die Zuordnung von Mitarbeitern zu Abteilungen und Dienstplangrundformen vor dem Hintergrund einer gleichmäßigen Stellenbesetzung analysieren, um damit körperliche Zusatzbelastungen einzelner Mitarbeiter festzustellen. Dabei soll die Analyse die Zusammensetzung der Qualifikation der Mitarbeiter mit berücksichtigen, weil aufgrund früherer Untersuchungen bekannt ist, dass Fachkräfte weniger körperlich belastende Tätigkeiten ausüben als Nichtfachkräfte (Grund- und Behandlungspflege).
Die anonymen Ergebnisse werden nur für interne Analysen und Interventionen benötigt.
3. Dokumentenanalyse: Stellenbeschreibung
Eine Stellenbeschreibung ist eine personenneutrale Beschreibung einer Arbeitsstelle hinsichtlich ihrer Arbeitsziele, Aufgaben, Kompetenzen und Beziehungen zu anderen Stellen. Für das Projekt sind vor allem die zu erfüllenden Aufgaben der Pflegemitarbeiter, aber auch anderer Mitarbeiter, die für Nebenarbeiten zuständig sind, von Bedeutung. Diese Aufgaben stellen die Basis für die detaillierte Untersuchungen von Arbeitsabläufen und einzelnen Tätigkeiten dar. Deshalb sollten diese Aufgaben für jeden Mitarbeiter bzw. alle Mitarbeiter mit gleichen Aufgaben aufgelistet und zeitlich gewichtet werden.
4. Layoutuntersuchungen
Der Grundriss mit der Anordnung der Räume und Lagermöglichkeiten ist zusammen mit den Mitarbeitern im Hinblick auf Schwachstellen zu analysieren, z.B.
- Werden lange und unnötige Wege erforderlich?
- Gibt es genügend Lagermöglichkeiten? Wo sollten noch Lagermöglichkeiten geschaffen werden? Wo fehlen Abstellflächen?
- Welche Räume sollten anders angeordnet sein?
- Welche Räume sind zu groß? Welche Räume sind zu klein?
- Ist die Abteilung übersichtlich?
5. Analyse der Organisationshandbücher
In den Organisationshandbüchern sind i.d.R. Arbeitsabläufe bereits dokumentiert. Sofern solche Dokumentationen vorhanden sind, werden diese als Basis für die Arbeitsablaufstudien verwendet. Nicht immer stimmen die Abläufe in den Handbüchern mit dem Ist-Ablauf überein. Dann ist nach den Ursachen zu suchen. Häufig lassen sich durch Abweichungen Zeit und körperlicher Einsatz einsparen. Eine besondere Beachtung sollten dabei die Nebenarbeiten finden. Welche Nebenarbeiten treten auf? Wer muss sie wann erledigen?
6. Arbeitsablaufanalyse mit Fischgrät- und Arbeitsfolgedarstellung
Die Arbeitsablauf- und Wegestudien werden in Anlehnung an REFA (1992) durchgeführt. Sie dienen der Erfassung von Ist-Zeiten für die Ablaufabschnitte einzelner Tätigkeiten und zurückgelegter Wege, d.h. es werden logische, zeitliche und räumliche Dimensionen des Arbeitsablaufes betrachtet. Mit den erfassten Daten sollen Schwachstellen im Arbeitsablauf erkannt werden. Im Mittelpunkt stehen dabei zeitökonomische Aspekte. Es ist zu prüfen, ob Mitarbeiter über einzelne Schichten beobachtet und begleitet werden oder ob nur ausgewählte Tätigkeiten erfasst werden. Dazu muss zunächst ein grober Einblick in das Ablaufgeschehen genommen werden.
Die Gliederungstiefe des Arbeitsablaufes in Mikro- oder Makroablaufabschnitte ergibt sich durch die Zielsetzung und den Einsatz weiterer Methoden. Momentan wird eine mittlere Gliederungstiefe angestrebt.
Da in der Pflege die meisten Tätigkeiten unmittelbar am und für den Menschen erbracht werden ist es hier nicht Ziel, Vorgabezeiten zu ermitteln, sondern es geht vor allem darum, Zeitvorstellungen bzw. Zeitverteilungen für die Durchführung von Einzelleistungen (bzw. Arbeitsablaufabschnitten) zu ermitteln.
Für die logische Ablauffolge empfehlen sich für die Darstellung Arbeitsablauffolgediagramme. Fischgrätdarstellungen dienen der übersichtlichen Darstellung komplexer Sachverhalte, wie z.B. Einflüssen und Bedingungen.
Um einen Überblick über die gesamten Arbeitsabläufe zu erhalten, sollten folgende Abläufe betrachtet werden:
- Mitarbeiter unterschiedlicher Qualifikationen und damit unterschiedlicher Tätigkeitsschwerpunkte
- unterschiedliche Schichten (Frühschicht, Spätschicht, Nachtschicht, Wochenendschicht)
7. Befragungen
Offene und ggf. geschlossene Befragungen der Mitarbeiter sollen die Belastungssituation aus Sicht der Mitarbeiter darstellen.
Aktuelle Beschwerden informieren über die erlebte Beanspruchung. Die retrospektive Erfassung von Beschwerden sollte getrennt für einzelne Körper- bzw. Gelenkregionen und für definierte Zeiträume (letzte Woche, letzter Monat, letzte 12 Monate) erfolgen.
Für Untersuchungen zu Beschwerden am Muskel-Skelett-System ist der "Nordic Questionnaire" validiert und wird weltweit eingesetzt. Hierzu liegen Ergebnisse großer Vergleichsstichproben vor. Der Fragebogen berücksichtigt insbesondere die Dauer der Beschwerden und ihre Stärke bzw. Auswirkungen in den letzten 12 Monaten.
Der NASA Task Load Index (TLX) ist ein Verfahren, mit dem die subjektiv erlebte Beanspruchung von Arbeitnehmern in Form eines 10-stufigen Ratings auf sechs Skalen erhoben wird. Diese Skalen sind:
- Geistige Beanspruchung,
- körperliche Beanspruchung,
- zeitliche Beanspruchung,
- Anstrengung,
- Frustration.
Zur Selbsteinschätzung der Arbeitsfähigkeit beantwortet der Mitarbeiter im Interview die Kurzversion des Work Ability Index-Fragebogens (WAI, Tuomi et al. 1998). Der WAI errechnet sich aus den Punkten von sieben Items:
- derzeitige Arbeitsfähigkeit im Vergleich zur besten je erreichten Arbeitsfähigkeit
- Arbeitsfähigkeit im Vergleich zu den Anforderungen der Tätigkeit
- Anzahl vom Arzt diagnostizierter aktueller Krankheiten
- geschätzte Beeinträchtigung der Arbeitsleistung durch die Krankheiten
- Krankheitstage in den vergangenen zwölf Monaten
- Einschätzung der eigenen Arbeitsfähigkeit in zwei Jahren
- Psychische Leistungsreserven.
8. Videoanalyse – Motion Toolbox
Die Körperbewegungen bei belastenden Tätigkeiten (z.B. beim Patiententransfer) werden mit einer digitalen Video-Kamera aufgenommen und zu einem späteren Zeitpunkt mit einer Software ausgewertet. Es sind dafür keine Marker oder Kalibrierungssysteme notwendig, was die Anwendbarkeit im realen Arbeitsbereich ermöglicht. Dennoch sollten (durch die Software bedingt) Bewegungen nicht länger als ca. 10 Sekunden analysiert werden. Die Winkel der Gelenke, Bewegungsbahnen, Geschwindigkeiten sind u.a. als mögliche Variablen zu analysieren.
9. Altersstrukturanalyse
Die momentane Altersstruktur der Mitarbeiter ist abteilungs- und qualifikationsbezogen zu erfassen und in einem Diagramm abzubilden. Die Altersstruktur ist für die nächsten 30 Jahre fortzuschreiben. Defizite im Personalbestand bzw. Personalbedarf sind aufzuzeigen.
10. Expertengespräche
Die Ableitung der Maßnahmen ohne Beteiligung der Betroffen führt i.d.R. zum Scheitern. Dies ist ein Grund, die Mitarbeiter des Dienstleistungsbetriebes und ggf. auch die Anbieter von Hilfsmitteln in die Ableitung von Gestaltungsmaßnahmen im Rahmen von Expertengesprächen einzubeziehen. Dabei können weitere Gestaltungsmaßnahmen erkannt und konkretisiert werden. Als Hilfsmittel eignen sich beispielsweise Flipcharts mit verschiedenen Visualisierungmethoden (z.B. Fischgrätdarstellung). Die Expertengespräche müssen einen festen zeitlichen Rahmen und eine Zielsetzung vorweisen.